Professor Dr. med. Jürg Metzger, Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie und Dr. med. Patrick Aepli, Chefarzt Gastroenterologie/Hepatologie: Im Doppel-Interview zum stillen Reflux.
Professor Dr. med. Jürg Metzger und Dr. med. Patrick Aepli. Bild: HO
Reizhusten, Räusperzwang, Heiserkeit, Halsschmerzen und vieles mehr. Der stille Reflux ist für viele Menschen mit einem langen Leidensweg verbunden. Kennen Sie diese Problematik?
Dr. med. Patrick Aepli: Absolut. Die oben beschriebenen Symptome sind nämlich häufig und können durch Erkrankungen aus ganz verschiedenen Organsystemen begründet sein. Nebst dem stillen Reflux müssen auch Erkrankungen von Herz und Lunge sowie aus dem Hals-Nasen-Ohren-Bereich in Betracht gezogen werden, weshalb bei obigen Symptomen also früher oder später verschiedene Fachrichtungen in die Abklärung involviert werden können.
Das ist beim «normalen» Reflux aber einfacher …
Dr. med. Patrick Aepli: Ja, der klassische Reflux-Patient leidet unter sehr typischen Symptomen (z.B. Magenbrennen, saures Aufstossen), sodass man die Diagnose meist relativ zügig und einfach stellen kann. Oft genügt bereits eine sorgfältige Anamnese, manchmal wird im Verlauf ergänzend noch eine Magenspiegelung notwendig, bei welcher man entzündliche Schleimhautveränderungen im unteren Anteil der Speiseröhre sehen kann.
Wie muss man sich das anatomisch vorstellen?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Die Speiseröhre ist die Verbindung zwischen dem Rachen und Mageneingang und hat zwei Schliessmuskeln (Ventile). Ein oberes Einlass- und ein unteres Auslassventil. Beim normalen Reflux ist das untere Auslassventil das Problem, das heisst, die Speiseröhre schliesst nicht genügend dicht gegen den Magen ab. Der Muskel ist zu schlaff und zusätzlich liegt oft eine sogenannte Hernie vor – ein Zwerchfellbruch. Die Kombination Zwerchfellbruch und Muskelschwäche führt dazu, dass Magensäure zurück in die Speiseröhre fliesst und dort die typischen Reflux-Symptome verursacht, wie zum Beispiel Sodbrennen.
Und beim stillen Reflux?
Dr. med. Patrick Aepli: Da liegt das Problem sozusagen einen Stock weiter oben. Beim stillen Reflux handelt es sich um einen sogenannten laryngopharyngealen Reflux, das heisst einen Reflux durch den oberen Schliessmuskel der Speiseröhre. Dabei gelangen Magen- und allenfalls auch Dünndarmsäfte in den Rachen und verursachen dort zum Teil erhebliche Probleme infolge einer Reizung von Kehlkopf, Rachen und teilweise auch Atemwegen. Wichtig zu wissen ist, dass diese Regionen deutlich empfindlicher auf ätzende Substanzen reagieren als die Region des gastro-ösophagealen Überganges. Beim klassischen Reflux liegt also ein Problem des unteren, beim stillen Reflux des oberen Schliessmuskels der Speiseröhre vor.
Und die Pepsine?
Dr. med. Patrick Aepli: Genau, die hauptsächlichen Verursacher von Symptomen stillen Refluxes sind Pepsine. Pepsine sind Magenenzyme, welche bei der Verdauung von Proteinen helfen. Sie gelangen während des stillen Refluxes in den Hals oder in die Atemwege und richten dort – wie oben erklärt – Schaden an. Selbst in geringen Mengen können Pepsine starke Symptome in den erwähnten Regionen verursachen, da die dortigen Schleimhäute keine Abwehrmechanismen gegen das Magenenzym besitzen und deshalb geschädigt werden.
Wie soll man das behandeln?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Noch immer probiert man den stillen Reflux mit sogenannten Protonenpumpeninhibitoren (PPI) wie zum Beispiel Omeprazol, Esomeprazol oder Pantoprazol zu behandeln. Leider ist aber gemäss verschiedenen Studien die Erfolgsquote relativ tief und liegt zum Teil nur bei knapp 20 % (Range 18-87 Prozent). Also extrem tief. Zur Operation kann ich Folgendes sagen: Am oberen Schliessmuskel verändert man durch eine Operation rein gar nichts. Mit einer Operation verbessert man nur die Situation am unteren Schliessmuskel, indem weniger Magensäure über den Magen in die Speiseröhre gelangen kann.
Aber Protonenpumpeninhibitoren (PPI) werden von vielen Experten verteufelt.
Professor Dr. med. Jürg Metzger: In der Regel wird das Medikament sehr gut vertragen und hat relativ wenige Nebenwirkungen. Früher hat man die meisten Reflux-Patienten direkt operiert, seit es PPIs gibt, sind solche Reflux-Operationen seltener geworden. Und wenn, dann sind es eher nur noch junge Patienten, die nicht ihr Leben lang Medikamente einnehmen möchten. Oder wenn jemand schwere entzündliche Veränderungen wie beispielsweise einen Barrett-Ösophagus entwickelt. Barrett-Ösophagus ist eine Krankheit, bei der die Schleimhaut der Speiseröhre schwer entzündlich verändert ist und die eine Vorstufe zum Krebs sein kann.
Kann eine Operation den stillen Reflux wirklich stoppen?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Zum Teil kann das bei stillem Reflux funktionieren. Laut einer Studie aus England, wobei man ausschliesslich Patienten mit stillem Reflux operierte, waren 60 bis 70 Prozent nach der Operation symptomfrei. Bei Operationen beim normalen Reflux sind die Patienten zwischen 85 bis 90 Prozent symptomfrei. Die operativen Resultate beim stillen Reflux sind somit deutlich schlechter.
Die Operation kann als offene Bauchoperation oder als minimalinvasiver Eingriff mit einer Laparoskopie durchgeführt werden. Was empfehlen Sie?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Eine offene Bauchoperation empfehle ich nicht. Der Goldstandard ist heute minimal invasiv, also die laparoskopische Fundoplikatio-Operation. Die Operation wird in Vollnarkose und mittels Bauchspiegelung durchgeführt, ein grosser Bauchschnitt ist somit nicht notwendig. Dazu werden fünf kleine Schnitte von maximal 1.5 Zentimetern gemacht und unter Videosicht spezielle Röhrchen (Trokare) eingebracht. Über diese Zugänge werden lange Instrumente in den Bauchraum eingeführt, mit denen man beispielsweise schneiden oder nähen kann. Früher hatte man diese Operation über einen grossen Bauchschnitt durchgeführt.
Wie lange dauert die Operation?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Im Schnitt 1,5 bis 2 Stunden, je nach Körpergewicht und Anatomie des Patienten. Den Eingriff machen wir ambulant-stationär, das heisst, der Patient wird am Tag des Spitaleintritts auch operiert und muss dann im Schnitt drei Tage hospitalisiert bleiben. Am ersten Tag nach der Operation gibt es eine Röntgenkontrolle, bei welcher der Patient Kontrastmittel schlucken muss. So kontrolliert man, ob es keine Verletzungen gibt oder die Manschette nicht zu eng ist und sich am richtigen Ort positioniert. Wenn alles gut ist, kann der Patient wieder normal essen und trinken – und nach zirka 10 Tagen auch wieder normal Sport treiben.
Was sind die Komplikationen oder Risiken dieser Operation?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Es kann zu einer Blutung kommen. Fundoplikatio bedeutet, dass der obere Teil des Magens von der Milz gelöst und um den unteren Teil der Speiseröhre geschlungen wird. Diese Manschette funktioniert dann ähnlich wie ein Schliessmuskel. Die Milz liegt auf der linken Seite des Magens und dort hat es viele Blutgefässe zwischen Magenaussenseite und Milz. Daher kann es vorkommen, dass man bei einer starken Blutung in der Bauchhöhle auf dem Bildschirm nichts mehr sieht und den Bauch öffnen muss. Ganz selten kann es zu einer Verletzung der Speiseröhre kommen. Aber man muss sagen: Die Erfolgsquote der laparoskopischen Fundoplikatio-Operation liegt bei über 95 Prozent. Komplikationen sind sehr selten.
Und direkt nach der Operation?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Nach einer Fundoplikatio kann es in seltenen Fällen – ähnlich wie bei anderen Operationen – zu Nachblutungen oder Wundheilungsstörungen kommen. Die schwerwiegendste, extrem seltene Komplikation ist eine während der Operation nicht erkannte Verletzung der Speiseröhre. Fliesst über eine solche Öffnung Speisebrei in die Bauchhöhle, führt dies zu einer schweren Bauchfellentzündung. Dann wird meist eine sofortige Notoperation durchgeführt, bei der die Verletzung an der Speiseröhre übernäht und die Bauchhöhle ausgespült wird.
Und gibt es auch Langzeitkomplikationen?
Professor Dr. med. Jürg Metzger: Gelegentlich kann sich die Fundoplikatio-Manschette wieder lösen und dann leidet der Patient erneut an Refluxbeschwerden. Eine weitere Komplikation im Verlauf kann eine zu eng angelegte Manschette sein, was dann zu Schluckbeschwerden, vor allem bei harten und festen Speisen, führt. In dieser Situation kann der Gastroenterologe mittels Magenspiegelung von innen die Manschette mit einem speziellen Ballon aufdehnen.
Nicht alle möchten operieren, wie können diese Ihrer Ansicht nach den stillen Reflux in den Griff bekommen?
Dr. med. Patrick Aepli: Grundsätzlich ist die Therapie des stillen Refluxes schwierig. Nebst verhaltenstherapeutischen und ernährungsberatenden Massnahmen können auch Medikamente (z.B. Magensäureblocker oder Neuromodulatoren) eingesetzt werden. Darüber hinaus sollen sogenannte Lifestyle-Veränderungen und konservative Massnahmen (u.a. vermeiden von Übergewicht, schweren Mahlzeiten, Rauchen und Alkohol; Oberkörper beim Schlafen hochlagern) empfohlen werden, welche auch bei Patienten mit klassischem Reflux oft einen positiven Effekt zeigen.
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